Evangelisches Dekanat Vogelsberg

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          Sonntagsgedanken

          Judenhass hat viele Gesichter

          Viele sagen heute „Israel“ und meinen damit „die Juden“. Wenn der 9. November 1938 und der 7. Oktober 2023 uns etwas lehren können, dann ist es dies: Judenhass hat viele Gesichter. Lesen Sie zum 9. November die Sonntagsgedanken von Pfarrer Peter Remy.

          „Da bin ich aber mal gespannt, was Sie in diesem Jahr am 9. November zu Israel sagen!“ Freundlich lächelt mich der Mann an, als er das sagt.

          In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Deutschland 1400 Synagogen. Auch in Alsfeld brannte das jüdische Gotteshaus. Am Abend des 9. November stürmte eine grölende Menge die Synagoge in der Lutherstraße und setzte den Innenraum in Brand, warf alle Fensterscheiben ein und zerstörte die Kultgegenstände. Die Täter waren nicht nur, wie wir reflexhaft sagen, „die Nazis“, so als wären es Fremde gewesen, die von irgendwoher gekommen waren. Die Täter waren Menschen aus der Mitte der Vogelsberger Bevölkerung. Nach dem Brandanschlag zog der Mob lärmend durch die Stadt. In den Häusern, in denen jüdische Familien lebten, warfen sie die Fensterscheiben ein, die Geschäfte jüdischer Inhaber wurden verwüstet, jüdische Männer wurden geschlagen und in „Schutzhaft“ genommen, wie das zynisch hieß.

          Landesweit forderte der Lynchmob in dieser Nacht bis zu 2000 Mordopfer.

          Der „Volkszorn“ hatte sich entladen, so hieß es in der gleichgeschalteten Presse. Der Volkszorn gegen „die Juden, die unser Unglück sind“, wie der preußische Reichstagsabgeordnete Heinrich von Treitschke bereits 60 Jahre vorher, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Stimmung des Volkes auf den Punkt brachte. Die kochende Volksseele braucht Sündenböcke.

          Was hat der 9. November 1938 mit Israel zu tun? Eine Antwort liegt spätestens seit dem 7. Oktober 2023 auf der Hand. Wiederum tobte sich der „Volkszorn“ gegen Juden aus, auch gegen Nachkommen derer, die dem antisemitischen Mob von damals und dem Holocaust entrinnen konnten.

          Der österreichische Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Amery, der als Hans Mayer 1912 in Wien geboren wurde, schreibt in seinem erschütternden Überlebensbericht „Jenseits von Schuld und Sühne“: „Täglich morgens kann ich beim Aufstehen von meinem Unterarm die Auschwitznummer ablesen…Ich verliere jeden Tag von neuem das Weltvertrauen.“ 1978 beendete er sein Leben selbst. Amery verstand sich als linksliberal. Als in den 70er Jahren die Israelfeindlichkeit auch in seinem eigenen politischen Lager aufkam, schrieb er: „Der Antizionismus ist nichts anderes als die Aktualisierung des uralten, offensichtlich unausrottbaren, ganz und gar irrationalen Judenhasses von eh und je.“

          Viele sagen heute „Israel“ und meinen damit „die Juden“.

          Wenn der 9. November 1938 und der 7. Oktober 2023 uns etwas lehren können, dann ist es dies: Judenhass hat viele Gesichter. Seine Ursache liegt nicht bei den Juden, sondern bei denen, die Juden hassen. Mit dem Hass auf Israel ist es genauso.

           

          Peter Remy, ev. Pfarrer in Alsfeld

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