Evangelisches Dekanat Vogelsberg

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          Die Nieder-Mooser Denkmalorgel

          Ein Instrument voller Klangpracht und spielerischer Schönheit:

          Foto: Rieger

          „Die Orgel ist ohne Zweifel das größte, das kühnste und das herrlichste aller von menschlichem Geist erschaffenen Instrumente, sie ist ein ganzes Orchester, von dem eine geschickte Hand alles verlangen, auf dem sie alles ausführen kann.“

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          Mit diesen Worten würdigte der namhafte französische Schriftsteller Honoré de Balzac (1799–1850) die Orgel ähnlich wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), der von ihr in einem  Brief (18.10.1777) an seinen Vater als „König aller Instrumente“ überwältigt schwärmte.

          Im Todesjahr Mozarts (1791) sollte ein für unsere Region prestigeträchtiger, außerordentlich ehrgeiziger Instrumentenbau fertiggestellt werden: die von Johann-Markus Oestreich (1738–1833) geschaffene Orgel der Evangelischen Kirche Nieder-Moos (1790/1791). Sie zählt zu den Schmuckstücken der hessischen Orgellandschaft und ist weit über die Grenzen des Vogelsberges hinaus bekannt. Als Teil der Erstausstattung der von 1784–1787 unter dem Patronat der Riedesel, Freiherren zu Eisenbach, im Dorfzentrum neu erbauten Kirche steht sie aufgrund ihrer nahezu vollständig, original erhaltenen Substanz unter Denkmalschutz. Wir können durch sie die facettenreiche, sehr feine Klanglichkeit und Klangästhetik der Epoche des Spätrokokos in Oberhessen heute noch erleben und genießen. Mit ihren 23 Registern – insgesamt 1418 Pfeifen, davon 1338 Manual- und 80 Pedalpfeifen – sowie dem auffallend breit konzipierten Prospekt, der Frontansicht, weist die „Alte Dame“, wie die Nieder-Mooser Orgel oft liebevoll genannt wird, eine stattliche Größe für die Vogelsbergregion auf. Die Abmessungen der Klaviaturen entsprechen nicht den mittlerweile üblichen nach  sogenannter BDO-Norm. Dabei hervorzuheben ist die Gestaltung der Pedalklaviatur mit deutlich eingeschränktem Umfang, verhältnismäßig großen, kurzen Tasten und spürbar tiefem Tastengang. Dies engt das realisierbare Repertoire ein, beeinflusst maßgeblich die getroffene Auswahl des Interpreten und spornt ihn zur neugierigen Suche nach geeigneten Stücken an. Womöglich kann im Zuge dessen sogar der ein oder andere, dem Vergessen anheim gefallene ‚Schatz der Orgelmusik‘ aus dem Verborgenen gehoben und erneut musikalisch zum Strahlen gebracht werden. Aus einer Fülle von Werken in vielfältiger Form, vom schlichten Choral bis hin zur virtuosen Orgelsymphonie, kann ein Organist schöpfen dank zahlreicher Komponisten, berühmte Größen wie auch weniger bekannte Persönlichkeiten, die Mozarts Faszination und Leidenschaft für ‚die Königin‘ teilten und teilen.

          Der Prospekt der Nieder-Mooser Orgel ist dem der 1768 von Philipp Ernst Wegmann (1734–1778) erbauten Orgel der Evangelischen Stadtkirche Lauterbach nachempfunden, was nicht zufällig erfolgte, sondern vertraglich mit dem aus Oberbimbach stammenden Johann-Markus Oestreich, der als wichtigster Vertreter der Orgelbauerfamilie Oestreich gilt, vereinbart worden war. Ein Schreiner namens Firich fertigte wohl das prachtvolle Gehäuse an. Dieses majestätische äußere Erscheinungsbild fügt sich harmonisch in die architektonische Gesamtanlage des von Stein errichteten Sakralbaus, der durch würdevolle und schlichte Eleganz besticht, ein und setzt einen wesentlichen Akzent.

          Seit ihrer Einweihung am 21. August 1791 erklingt die Nieder-Mooser Orgel regelmäßig im Gottesdienst wie auch in Konzerten. Ursprünglich war ihr Preis auf 700 Taler veranschlagt, schließlich beliefen sich die Kosten auf 780 Taler, eine horrende Summe, bedenkt man, dass der Jahreslohn eines Handwerkmeisters in dieser Zeit zwischen 200 und 600 Talern lag. Die getätigte Investition der Gemeinde sollte sich allerdings mehr als lohnen; denn von großem Können ihres Erbauers zeugt neben klanglicher Qualität die bauliche Solidität mit gut funktionierender mechanischer Traktur. Nur kleine Reparaturen waren in den Jahren 1834, 1858, 1897 und 1953 erforderlich, bis die in Lich ansässige, renommierte Orgelbaufirma Förster & Nicolaus eine behutsame und sehr gelungene, grundlegende Restaurierung 1978 vornahm, des Weiteren 2004 das schon 1791 vorgesehene vakante Register, eine Vox Humana, ergänzte. Die originale Kirnberger II-Stimmung blieb erhalten, während die ursprünglichen Keilbälge bereits 1931 durch einen Magazinbalg ersetzt worden waren. Die ältere Generation erinnert sich gewiss an das traditionell in der Konfirmandenzeit zu leistende Treten der Bälge, das in Nieder-Moos bis 1955 notwendig war, damit ein Pfeifenton erklingen konnte. In dem genannten Jahr wurde die Kalkantenanlage, die nach wie vor erhalten ist, stillgelegt und ein elektrisches Gebläse eingebaut.

          Seit ihrer Fertigstellung dient diese einzigartige Orgel zuverlässig den Menschen, die sie hören. Sie trägt nicht nur den Gesang, das musikalische Gebet, sie trägt auch uns – wenngleich es vielen vielleicht gar nicht bewusst ist – durchs Leben, in guten wie in schlechten Zeiten, an Fest- und Jubeltagen wie in Phasen der Krise. Gerade dann bieten die ihr entlockten Klänge Trost, was eine aus dem 18. Jahrhundert überlieferte Orgelinschrift besonders schön zum Ausdruck bringt: „Die Musik allein / die Tränen abwischet, / wenn nichts anderes / mehr hilfreich will sein.“ Innere Aufrichtung, seelische Erbauung, unerschütterliche Hoffnung, unverzagten Mut will ihre Musik in uns bewegen und stärken. Die Schau des Himmels bringt sie uns auf Erden nah.

          Hinweis: 2018 wurde die von Johann-Markus Oestreich meisterlich gefertigte Orgel im Rahmen der Sendung „Herrliches Hessen – Unterwegs um den Nieder-Mooser See“ vorgestellt, abrufbar auf Youtube unter: https://www.youtube.com/watch?v=sqSCbJGuBBw

          (von Diana Rieger)

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