Evangelisches Dekanat Vogelsberg

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          Angekommen: Pfarrer Johannes Wildner ist Mitglied der Church of Scotland und auf dem Weg zu seiner ersten Gemeinde als „Minister“

          Mit der Kirche im Aufbruch sein

          Mehr als ein Jahr ist es nun her, dass die Familie Wildner aus Schlitz ihre Koffer gepackt hat und sich auf den Weg machte: Pfarrer Johannes Wildner suchte die Herausforderung einer anderen Kirche, wie er sie während seines Studienjahrs in Schottland kennengelernt hatte: nicht so verwaltungslastig, nicht so mit sich selbst beschäftigt, dafür sehr nah bei den Menschen und sehr nah bei Gott und seinem Wort.

          Und seine Familie zog mit. Ehefrau Käthe ist Theaterpädagogin und Dozentin für Deutsch als Fremdsprache, die vier Kinder, damals zwischen 13 und 18 Jahre alt, gehen noch zur Schule. Ihre neue vorübergehende Heimat wurde Tullibody, eine Kleinstadt im Verwaltungsbezirk Clackmannanshire, gelegen in den Central Lowlands zwischen Glasgow und Edinburgh.

          „Nach einem Jahr kann ich sagen, wir fühlen uns alle sehr wohl hier“, so der Pfarrer sichtlich gutgelaunt im Bildschirm-Interview. „Die Mentalität der Menschen liegt uns sehr – sie sind offen und freundlich und man bekommt schnell Kontakt. Und wir genießen die Landschaften – die Natur ist so vielfältig und hat einen hohen Stellenwert bei den Menschen und auch bei der Kirche.“ Viele Beispiele nennt Wildner für einen entspannten Umgang der Menschen mit natürlichen Hindernissen: „Steht ein Baum mitten in einem Feld, bleibt er stehen. Er stört nicht bei der Bewirtschaftung, sondern wird als Sinnbild des Lebens und Verbindung von Himmel und Erde verstanden. Selbst Kirchengebäude richten sich nach dem Baumbestand.“ Dieser Umgang der Menschen mit der Natur rühre auch von der keltischen Vergangenheit her, die immer noch den Alltag und die Lebenswelt der Menschen prägt. Der christliche Glaube bildet dazu keine Konkurrenz, sondern eher eine Ergänzung.

          Von Anfang an fühlten er und seine Familie sich gut aufgenommen, auch wenn es für die Kinder nicht eben einfach war, im Lockdown in ein anderes Land zu ziehen. „Junge Menschen definieren sich sehr über Beziehungen und davon gab es am Anfang wenige“, berichtet der Pfarrer, der selbst direkt ins kalte Wasser springen musste, weil sein Ausbildungspfarrer zeitweilig erkrankt war. Käthe Wildner konnte sehr bald mit Online-Sprachkursen starten, sodass die Erwachsenen schneller ankamen. Inzwischen sind jedoch auch die Kinder gut dabei – vor allem die Sprache haben sie viel schneller gelernt. „Das Schottische ist ohnehin schon nicht einfach“, gibt Wildner zu bedenken, „und dann kommen ja noch die ganzen Dialekte hinzu.“

          Gerade bei seelsorgerischen Aufgaben, etwa einem Trauergespräch, sei das mitunter gar nicht so leicht – im Alltag dann umso mehr, denn die Schotten sind entspannt: Nicht mal in den großen Supermärkten herrsche Eile, so Wildner. Überall laden Pubs mit köstlichem Whisky zum Verweilen und Plaudern ein – es gibt sogar welche, die zu „spirituellen Schutzräumen“ erklärt wurden – mit Whisky als Wasser des Lebens. Dazu komme der angelsächsische Humor, den Wildner sehr schätzt. „Wir haben hier nicht das Gefühl, Fremde zu sein“, fasst der Pfarrer nach einem Jahr zusammen. Neben den Ausflügen in die weitere Natur lieben er und seine Familie die Abende im Pub mit Livemusik, bei der auch die Jungen voll dabei sind, zumindest die Einheimischen: In Schottland wird mitgesungen. „Hier hat niemand Angst, sich eine Blöße zu geben, im Gegenteil: Alle machen mit und haben Spaß dabei.“ Spaß hat die Familie auch am britischen Essen - wenngleich Haggis (Schafsinnereien mit Zwiebeln und Hafermehl gefüllt) ganz bestimmt nicht jedermanns Sache ist, auch nicht bei Wildners, aber: „Die Küche ist vielfältig und international – hier gibt es für alle etwas, auch für die Vegetarierinnen.“

          Die schottische Kirche ist im Aufbruch, die Wildners auch: Am 1. Juni wurde Wildner in den Dienst der Church of Scotland übernommen. Nun ist er Reverend, Minister, um es genau zu sagen, und damit im wahrsten Sinne des Wortes Diener seiner Gemeinde, die er nun fand und die sich auch für ihn entschieden hat: Maxwelltown West in dem Ort Dumfries, im Südwesten Schottlands – auf den ersten Blick kein einfaches Pflaster: Wirtschaftlich abgehängt, bietet die Region wenig Perspektiven für junge Menschen; das weiß der Pfarrer bereits. Gleichzeitig hofft er, dass der Kirche gerade hier eine wichtige Bedeutung zukommt. Nach seiner Wahl haben ihm die Gemeindeglieder versprochen, dass sie mit ihm gemeinsam das Gemeindeleben gestalten und tragen werden, dass sie mit ihm gemeinsam Zeugnis ablegen werden und Dienst in der Gemeinde tun. „Das sind starke Worte“, freut sich der Theologe, und ernstgemeint sind sie noch dazu: Die Menschen binden sich mit ihrer Unterschrift an ihren Pfarrer und umgekehrt. Die Kirche in Schottland ist eine Kirche der Basis, gewählt wurde er von allen Gemeindegliedern, denn ein System wie in Deutschland gibt es hier nicht. „Wenn alle hinter einem stehen, das ist schon was“, so Wildner, den das Wahlverfahren genauso begeistert hat wie die Strukturen in den Kirchengemeinden: „Die Gemeindeleitung ist auf zwei Gremien aufgeteilt: Es gibt eine Gruppe, die kümmert sich um finanzielle und bautechnische Fragen, und eine, die hauptsächlich geistlich arbeitet. So können die Menschen sich viel mehr mit ihren Neigungen einbringen und selbst gestalten“; freut sich der Pfarrer auf gute Zusammenarbeit. Angeführt von den „Ältesten“ der Gemeinden leiten die Gemeinden sich selbst. „Wir sind gemeinsam eine mündige Gemeinde“, beschreibt Wildner das Selbstverständnis der Kirchengemeinden der Church of Scotland, „wir sitzen alle in einem Boot, aber nicht der Pfarrer ist der Steuermann, sondern Gott.“ Die Anbetung Gottes steht im Zentrum des Gemeindelebens. „Die Mitglieder der Church of Scotland sind eine Minderheit, sie leben ihren Glauben daher oft sehr engagiert und bewusst. Und genau aus dem Grund finden die Menschen hier auch lebensrelevante Inhalte in der Bibel“, so eine Erfahrung des vergangenen Jahres.

          Im Gegensatz zu den Kirchen in Deutschland existiert die Church of Scotland hautpsächlich durch Spenden ihrer Mitglieder. „Die Kirche ist ärmer als in Deutschland. Das passt viel besser zu uns“, findet Wildner, dessen schottische Kollegen übrigens alle noch einen anderen Beruf erlernt haben, in dem sie arbeiten könnten. Wildner hält Prunk und Reichtum bei der Kirche nicht nur für unangemessen, sondern mitunter auch für eine Fassade. Die wirtschaftliche Situation – für alles, was ansteht, Bauwerke, Projekte, Gemeindearbeit muss ein Pfarrer Spenden einwerben – ist geradezu ein Motor für das Gespräch mit den Menschen in der Gemeinde. Ein weiterer schöner Effekt eines solchen Systems.

          Ob er überlegt, nach Deutschland zurückzukommen? Im Moment sicher nicht, dafür ist das Abenteuer noch zu frisch, die Erfahrungen noch längst nicht alle gemacht. „Jetzt bin ich hier, ganz und gar. Nach Schottland zu gehen, war kein halber Schritt“, so Wildner. Außerdem: „Es fühlt sich gut an, mit dieser Kirche auf dem Weg zu sein. Ich fühle mich verjüngt – vielleicht weil man geistig gelenkiger bleibt, wenn man eine alte Haut ablegt und seinen angestammten Horizont verlässt.“

          In Schottland, in Dumfries, hat Wildner nun erstmal einen neuen Horizont gefunden. Seinen Blick aber wird weiterhin auch über den Horizont hinaus richten wollen. Man darf gespannt sein, was er da alles sieht.

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